Einsamkeiten
Es sind „mehrere, verschiedene Einsamkeiten“, die den Patienten befallen.
Der Patient erhält die Diagnose und hat auf dem Weg nach Hause so viele Gedanken im Kopf, dass er diese kaum sortieren – geschweige denn abarbeiten kann.
Als erstes wird überlegt, wem man überhaupt von der Diagnose erzählt. Die meisten, die ich kennen gelernt habe, beschränken sich auf den Lebenspartner. Die Kinder werden „erst einmal“ durch Verschweigen „geschützt“. Eltern, Geschwister und auf jeden Fall Freunde genauso.
Aus Scham und Angst vor übertriefendem (siehe auch Kommunikation).
Ich habe auch Patienten erlebt, die nicht einmal den Ehepartner informiert haben.
Je mehr Menschen man sich gegenüber verschweigt, desto mehr begibt man sich in die Einsamkeit.
Und die wird im Laufe der Behandlung immer tiefer:
Wegen der Übelkeit geht man kaum noch zu Freunden, besorgten Nachfragen wird ausweichend geantwortet und erst wenn die Haare ausfallen ist das Visier offen. Dann wird gebeten, die „Sache“ einfach auf sich beruhen zu lassen, weil man nicht darüber sprechen möchte.
Und tiefer geht es in die Einsamkeit...
Freunde, Bekannte und auch Familie ziehen sich immer mehr zurück. Aus Angst oder Hilflosigkeit, aus Respekt vor dem Wunsch des Patienten oder Interessenlosigkeit. Auf jeden Fall ist die fehlende Kommunikation ein Garant für eine gefährliche Einsamkeit, aus der man auch nicht so einfach aus eigenem Antrieb wieder herauskommt.
Auch Appetitlosigkeit, Verlust von Geschmacksnerven und Übelkeit lassen einen kaum noch an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Man sitzt statt dessen einsam in einem anderen Raum, um den „Gesunden“ nicht den Appetit durch seine Anwesenheit zu verderben. Wie blöd!
Die Rücksicht auf den gesunden Partner bei dessen Befindlichkeiten, Belastungen oder damit dieser sein eigenes Leben und Freizeitgestaltung noch erhält sowie das schlechte Gewissen, dass man „so viel Arbeit macht“, vereinsamen noch mehr. Wie unnötig!
Aber auch wenn die Einsamkeit von Partnern, Familie, Freunden und dem ganzen Umfeld super toll aufgefangen wird, wenn alle sich bemühen und sich optimal verhalten, man ist doch als Kranke*r einsam.
Weil man halt „der/die mit dem Krebs ist“.
„Mit dem ist im Moment nichts mehr anzufangen, kann nichts mitmachen und wenn wir normales Leben vorführen, dann tut es ihm doch weh! Oder? Bestimmt!“
Die Einsamkeit frisst Löcher in die Seele!
Und es gibt nur eine Person, die diese Spirale durchbrechen kann: der Patient!
Nur wer sich öffnet, kommt weitgehend aus der Einsamkeit heraus.
Was aber, wenn man das selber nicht schafft? Wenn die Gedanken und die Flucht in die Einsamkeit so stark sind, dass man nicht mehr kommunizieren kann?
Was wenn man genau diese Einsamkeit als das kleinere Übel ansieht und diese bevorzugt?
Und dabei immer mehr vor die Hunde geht.
Dann braucht man mindestens einen Freund oder Freundin, die einem die Hand hin hält, wenn man zu ertrinken droht.
Am besten wäre dies der Lebenspartner. Aber wenn dieser diese Aufgabe nicht schafft?
Dann ist hoffentlich doch noch ein Mensch aus dem sozialen Umfeld da, der die Situation erkennt und handelt!
Dann suche man sich einen Therapeuten oder emphatischen Freund und genieße die Empathie, das Verständnis und die selbstlose Hilfe!
(Leider habe ich Selbsthilfegruppen nur für jeweils bestimmte Krebs-Arten kennengelernt und diese haben sich überwiegend in Wettbewerbe "wer weiß am meisten über Ärzte, Krankenhäuser, Medikamente, Therapien und überhaupt..." ergossen.
Auch die Partner haben neue Einsamkeiten:
Freunde lassen einen „in Ruhe, weil man ja jetzt so viel mit der Pflege und der mentalen Unterstützung zu tun hat“ und die wenigen, die übrig bleiben, können die meisten Probleme nicht wirklich nachvollziehen. Man kann als Angerhörige*r oder Partner*in auch nicht unbedingt seine ganzen Ängste, Sorgen und Probleme jedem anvertrauen. Man macht auch die Erfahrung, dass Außenstehende oftmals wenig oder gar kein Verständnis aufbringen, keine Empathie empfinden oder sofort mit endlosen, dummerhaftigen Ratschlägen daherkommen.
Dann lässt man das eben...
Dabei gilt für die alle das gleiche: man hat jetzt eine Doppelrolle mit wechselnden Persönlichkeiten, Todesängsten und Einsamkeiten. Dafür braucht man Freunde. Dafür sind Freunde da.
Man muss nicht immer alles alleine schaffen!
Und wenn man keine Freunde hat? Wenn sich wirklich alle zurückgezogen haben?
Dann geht auf die ehemaligen Freunde aktiv und selbstbewusst zu!